Eine Geschichte mit mehr als einer oder zwei Hauptfiguren zu erzählen, ist in vieler Hinsicht eine große Herausforderung[1]. Deshalb lautet die erste Frage, bevor man sich in ein solches Projekt stürzt: muss ich diese Geschichte zwingend als Ensemblefilm erzählen? Oder gibt es andere, vielleicht sogar bessere Arten, der Geschichte und vor allem den Figuren gerecht zu werden?

In dem Moment, in dem ich mich dafür entscheide, dass mein Stoff mit mehreren Protagonisten erzählt werden soll muss, macht es Sinn, sich die Figuren genauer anzuschauen. Sind alle tatsächlich zentral für die Geschichte? Wenn ich beispielsweise sechs oder sieben Hauptfiguren habe, kann ich zwei oder drei von ihnen zu einer Figur verdichten? Falls nicht: sind alle gleich wichtig? Oder stehen vielleicht drei von ihnen im Mittelpunkt und die anderen sind etwas weniger zentral für das Geschehen?

 

Eine Gruppe im Zentrum des Geschehens? Oder verschiedene Handlungsstränge mit verschiedenen Protagonisten?

Als nächstes sollte ich mir überlegen, um welche Art von Ensemblefilm es sich handelt. Sind es einzelne, episodisch erzählte Geschichten, die alle durch ein zentrales Ereignis zusammengehalten werden? Also so wie SHORT CUTS oder THE PLAYER, beide von Robert Altman, dem Ur-Väter dieser Art von Ensemblefilmen (oder CRASH oder MAGNOLIA oder GRAND BUDAPEST HOTEL oder zahlreiche andere Filme)? Filme dieser Art können dann, bis auf das Ereignis, das alle Handlungsstränge und damit auch alle Figuren zusammenführt, so erzählt werden, als wären sie verschiedene Kapitel mit verschiedenen Protagonisten eines einzigen Buches. In dem Fall kann ich jeden Handlungsstrang wie einen in sich geschlossenen Film behandeln, in dessen Mittelpunkt eine Figur steht und kann mir dann in einem nächsten Schritt überlegen, wie ich die verschiedenen Handlungsstränge zusammenführe. Meist ergibt es sich daraus, auf welche Art und Weise ich das zentrale Ereignis, das alle miteinander verbindet, erzählen möchte.

Dann gibt es da noch die andere Art Ensemblefilme: diejenigen, in denen es tatsächlich um eine Gruppe geht, wobei die einzelnen Protagonisten meist gemeinsam dasselbe Ziel verfolgen. Also zum Beispiel Filme wie OCEAN’S ELEVEN (und dessen Sequels), die FAST AND FURIOUS Reihe, DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN, DIE BRÜCKE oder DUNKIRK. Hier wird es wirklich knifflig. Warum? Die wesentlichen Herausforderungen, Ensemblefilme zu schreiben, liegen darin, dass jede Hauptfigur ihr Leben, ihre Geschichte, ihre Vergangenheit braucht und ich davon für meine Geschichte relevante Teile in meinem Film erzählen muss. Des Weiteren muss ich unterwegs alle Figuren präsent halten und sicherstellen, dass ich immer wieder auch ihren Teil an der Geschichte erzähle und sie nicht im Laufe des Films unter die Räder kommen. Außerdem werde ich sehr wahrscheinlich zahlreiche Szenen mit mehreren Figuren haben, die alle etwas tun und sagen müssen, damit sie nicht nur wie ein Stück Inventar in der Szene herumstehen. Und zu guter Letzt muss ich für jede Figur einen eigenen Duktus finden, also eine eigene Art und Weise zu sprechen. Habe ich schon gesagt, dass Ensemblefilme eine besondere Herausforderung sind?

 

[1] Konkret ist damit ein Kino-, bzw. TV-Film gemeint und kein serielles Format.

© 2019   Nicole Mosleh