Thriller: Kino der Angst

Thriller und Krimi sind zwei grundverschiedene Genres, die aber sehr häufig verwechselt werden. Während der Thriller das Kino der Angst ist und sich dadurch auszeichnet, dass die Hauptfigur an Leib und Leben bedroht ist, und dieses Genre folglich ein Maximum an emotionaler Beteiligung beim Zuschauer hervorruft, ist der Krimi die Geschichte einer Ermittlung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der Protagonist (und damit auch der Zuschauer) emotional am wenigsten beteiligt ist. Für einen Ermittler gehört es zur Routine, Verbrechen aufzudecken und die Täter zu überführen. Auch wenn ihn eine Tat erschüttern kann, so ist sie dennoch nichts, was sein persönliches Leben auf den Prüfstein stellt oder durcheinanderbringt. Schließlich widerfährt die Tat nicht ihm selbst oder einem Menschen, der ihm persönlich nahesteht. Demzufolge fordert ein Krimi die analytischen Fähigkeiten des Zuschauers heraus4 und weniger eine Identifikation mit demjenigen, der persönlich betroffen und damit emotional beteiligt ist.

Der Krimi ist ein reines Fernsehgenre.

Das hängt auch mit der relativen »Emotionslosigkeit« des Genres zusammen (Kino verlangt nach Größe. Das gilt nicht nur, aber besonders für Emotionen!). Es ist das am häufigsten produzierte fiktionale Fernsehformat in Deutschland.

Tendenziell ist der Krimi ein sehr reaktionäres Genre. Es ist das Genre, in dem es darum geht, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Wenn der Täter überführt, gefasst und der Justiz übergeben wird, ist die Welt aufs Neue in Ordnung und das Böse ein weiteres Mal bezwungen. Es sagt viel über die gesellschaftliche Verunsicherung und den Wunsch nach konservativen Werten, die Sicherheit suggerieren, aus, wenn ausgerechnet dieses Genre im deutschen Fernsehen das erfolgreichste ist.

Emotionale Beteiligung

Um auch bei dem sehr kopflastigen »Whodunit« eine stärkere emotionale Beteiligung des Publikums hervorzurufen, wird der Krimi mittlerweile häufig mit Thriller-Elementen versetzt. Dies geschieht unter anderem, indem zum Beispiel der Ermittler oder Menschen, die ihm nahestehen, von einem weiteren Verbrechen bedroht sind (der oder die Kriminelle/n möchte/n die Ermittlungen behindern oder zum Erliegen bringen).

Es genügt aber auch schon, wenn ein weiteres Verbrechen droht, sodass nicht nur das bereits begangene aufgeklärt wird, sondern noch viel dringender ein weiteres verhindert werden muss (zum Beispiel ein Serienmörder auf freiem Fuß oder ein Pädophiler, der im Internet unter einer falschen Identität Kinder und Jugendliche zu einem Treffen überredet und sich dann an ihnen vergeht). Die Thrillerelemente bewirken eine intensivere emotionale Beteiligung; gleichzeitig kommt Zeitdruck ins Spiel (»den Täter stellen, bevor er ein weiteres Verbrechen begehen kann«).

Emotionale Bindung

In Krimiserien wird eine emotionale Bindung an den / die Ermittler gleichzeitig über die sogenannten »horizontalen Handlungsstränge« hergestellt: Wir erfahren in einer meist recht knapp erzählten Nebenhandlung von den privaten Problemen und persönlichen Beziehungen der Ermittler, die sich allen beruflichen Widrigkeiten zum Trotz nach einem »normalen« und harmonischen Privatleben sehnen. Das gelingt ihnen jedoch in den seltensten Fällen, da sie zum einen eigenen psychischen Ballast mit sich herumschleppen, der ihre zwischenmenschlichen Beziehungen belastet. Und zum anderen verhindert der Beruf, der sie oft rund um die Uhr in Beschlag nimmt, ein ruhiges und zuverlässiges Privatleben.

Der häufigste Fehler beim Thriller

Zurück zum Thriller. Hier gilt außerdem: Die Bedrohung der Hauptfigur an Leib und Leben muss gleich zu Anfang der Geschichte etabliert werden und konstant aufrecht erhalten bleiben. Häufigster Fehler bei diesem Genre, der übrigens nicht nur Anfängern unterläuft, ist ein Mangel an Bedrohung. Das soll heißen: Sie können noch so atmosphärisch dicht und geheimnisvoll schreiben, wenn derjenige, der ihr Drehbuch liest, auf Seite 10 oder noch später immer noch nicht um das (vor allem auch physische) Wohlergehen oder gar Leben der Hauptfigur (die selbst noch nichts von der Bedrohung wissen muss) fürchtet, dann kann Ihr Drehbuch noch so gelungen sein – ein Thriller ist es dann sehr wahrscheinlich nicht.

Die tatsächliche Gefährlichkeit des mitunter auch »unsichtbaren« Täters wird entweder durch ein bereits begangenes Verbrechen oder durch eine glaubwürdige Drohung verdeutlicht. An der Bedrohung darf kein Zweifel bestehen, auch wenn vielleicht gar nicht klar ist, von wem sie eigentlich ausgeht, da weder der Protagonist noch das Publikum die Identität des Täters kennen müssen. Befindet sich der Täter im näheren Umfeld der Hauptfigur, erhöhen Sie allerdings die Spannung erheblich, wenn Sie den Zuschauer vorab von den wahren Absichten eines allem Anschein nach sehr sympathischen Antagonisten in Kenntnis setzen.

Die zentrale Emotion im Thriller ist außer Angst »Suspense«, also die Anspannung, die aus dem Erwarten unerwünschter Ereignisse und der Besorgtheit um den Protagonisten entsteht. Suspense hat in erster Linie etwas mit der Ökonomie von Informationen zu tun: Wer erfährt was wann? In den allermeisten Fällen beschreibt es den wohldosierten Informationsvorsprung, den das Publikum dem Protagonisten gegenüber hat.

Konkret heißt das, dass der Held keine, wenig oder eine falsche Ahnung hat davon, wer in welchem Umfang sein Leib und Leben bedroht. Manchmal hat er auch die wesentlichen Informationen, schätzt die Situation aber falsch ein und trifft deshalb potenziell folgenschwere Fehlentscheidungen. Demgegenüber kennt der Zuschauer das Ausmaß der Bedrohung und wünscht sich nichts sehnlicher, als dieses Wissen mit dem Protagonisten teilen zu können und damit Unheil von ihm abzuwenden.

Durch die daraus resultierende Anspannung und Impotenz (der Zuschauer muss machtlos zusehen, wie das Unglück seinen Lauf nimmt), entsteht die bis an die Grenze des Erträglichen anwachsende Anspannung, die das Publikum in den Bann schlägt, begleitet von der angsterfüllten Frage, ob das befürchtete Ereignis eintritt.

Untergenre: Film Noir

Streng genommen besteht nicht einmal Einigkeit darüber, dass es sich dabei auch wirklich um ein Genre handelt, in das sich ein Film bereits im Drehbuchstadium einordnen lässt. Zentrale Elemente, die eine Geschichte zu einem Film Noir machen, sind von der Umsetzung des Drehbuchs abhängig. Ein auffälliges Merkmal ist zum Beispiel die Lichtsetzung. Der klassische Film Noir ist schwarz-weiß, was mit der Entstehungszeit dieses Genres zu tun hat.

Der Film Noir ist ein Produkt der Nachkriegszeit und lässt sich am besten vor dem Hintergrund der Kriegsheimkehrer verstehen: Gebrochene Männer, die Schreckliches erlebt und noch dazu viele Jahre weit weg von der Heimat in Kriegsgefangenschaft verbracht haben, kehren zurück in ihre Heimat, entfremdet von sich selbst und vom sozialen Gefüge, aus dem sie herausgerissen wurden, als sie in den Krieg ziehen mussten. Viele sind ihrer besten Jahre beraubt worden, die jüngere Generation war im Krieg statt zu studieren oder eine Ausbildung zu absolvieren, was ihnen eine wahrscheinlich bessere Zukunft garantiert hätte. Ihre Eingliederung in die Gesellschaft ist sehr problematisch. Statt der vormals (zumindest finanziell) von ihnen abhängigen Gattinnen finden sie bei ihrer Rückkehr souveräne, unabhängige Frauen vor, die sich und die gemeinsamen Kinder während ihrer Abwesenheit allein durchgebracht haben und jetzt keinerlei Neigung zeigen, auf ihre Unabhängigkeit zu verzichten. Die Männer, deren Einsatz für das Vaterland weder materiell noch moralisch entlohnt wurde, fühlen sich nutzlos und überflüssig.

Auf dieser Blaupause entstand das Genre Film Noir, mit gebrochenen Helden, die sich in der Welt nicht zurechtfinden und für die es in dieser Welt keinen Platz zu geben scheint. Sie sehen sich mit starken Frauen konfrontiert, darunter auch die »Femme fatale«, auf die sie gutgläubig hereinfallen und die genauso zu den Archetypen dieses Genres gehört wie korrupte Polizisten, hartgesottene Detektive, abgerissene Künstler oder Schriftsteller und eifersüchtige Ehemänner, die in die Geschichten über Verführung, Verrat und Betrug verwickelt sind.

Das Setting ist meist urban, die Helden taumeln verloren durch Nachtclubs, Spielhöllen, menschenleere Straßenschluchten und heruntergekommene Fabrikhallen. Die Sicht auf die Welt, die sie umgibt, ist pessimistisch. Und wer anderen vertraut, ist in Zeiten, in denen jeder auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, bereits verdammt und verloren.

Die Lichtsetzung ist das, was man Low-Key nennt: Große Teile des Bildausschnittes bleiben unkenntlich oder schwarz, Schatten über dem sichtbaren Bildteil verstärken den düsteren Eindruck. Dennoch ist das Bild sehr kontrastreich, kleinere Bildausschnitte sind überproportional hell. Vieles ist nur in Spiegelungen sichtbar (Fensterscheiben, Spiegel und sonstige reflektierende Oberflächen). Die Handlung spielt sich häufig bei Nacht und / oder in strömendem Regen ab, was die Szenerie ebenfalls unwirtlich macht. Die Kamera schaut durch Jalousien, Schlüssellöcher und an anderen Hindernissen vorbei. Dabei sind die Kamera-Perspektiven oft außergewöhnlich, beispielsweise sind Schrägsichten von unten oder oben überproportional häufig vertreten. Die Welt ist aus den Fugen geraten und dementsprechend auch die Sicht auf dieselbe.

Das Genre, das fest in den Umständen seiner Entstehung verankert ist, wurde mit unterschiedlichem Erfolg immer wieder neu aufgelegt und hat auch in jüngerer Zeit neben unzähligen B- und C-Pictures7 zahlreiche Ikonen des Kinos hervorgebracht (z.B. Taxi Driver, Wenn der Postmann zweimal klingelt, Blue Velvet, Reservoir Dogs, Heat, Fargo, Mulholland Drive, No Country for Old Men).